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Dream Theater: Six Degrees Of Inner Turbulence (Review)

Artist:

Dream Theater

Dream Theater: Six Degrees Of Inner Turbulence
Album:

Six Degrees Of Inner Turbulence

Medium: CD
Stil:

Progressive Metal

Label: Elektra Records
Spieldauer: 96:13
Erschienen: 29.01.2002
Website: [Link]

Das Phänomen DREAM THEATER. Analyse eines vermeintlichen „Untergangs“ einer Progmetal-Legende:

„DT-Bashing ist ‚in’“ hat mal ein Rezensent auf einer bekannten, deutschsprachigen Internetseite geschrieben. Damit hat der Mann nicht ganz unrecht. Bereits vor Erscheinen neuer DREAM THEATER-CDs hocken Kritiker wie die Aasgeier zum Sturzflug bereit vor der Anlage, um es kurz nach der Veröffentlichung als „neues Machwerk“ zu brandmarken und gnadenlos zu zerreißen.
Gründe gibt es zu Hauf. Viele Fans, die der Band den Rücken zugewandt haben, beschweren sich über deren neues Image als ach so böse Heavy-Metal-Band und finden den inzwischen sehr schweren Sound eindeutig ZU schwer. Von den blutjungen, hibbeligen Musikstudenten, die mit geringem Budget „When Dream And Day Unite“ einspielten, ist nicht mehr viel übrig. Der „Spirit of Prog“ ist ihnen verloren gegangen, sie bedienen sich bei anderen Bands, sind inspirationslos, etc. etc. pp.

Klar. DREAM THEATER sind scheiße. Okay, ich hasse diesen Sound, es ist zu viel des Guten. Zu viel Bombast, zu viel unnötige Härte und zu viel Gefrickel, zu viel Selbstbeweihräucherung. Alles wird zugekleistert - und dann immer diese furchtbar schmalzigen Balladen... Es gibt wirklich verdammt viele Aufhänger, um mit einem wunderschönen Verriss zu beginnen... aber bleiben wir doch einmal sachlich.

Denn: DREAM THEATER sind nicht gleich DREAM THEATER.
Es gibt Bands, die sich irgendwann im Kreis drehen und sich selbst in den Schwanz beißen. Jegliche Inspiration ist im Laufe der Jahre nach unzähligen Veröffentlichungen und Live-Auftritten dahin, was den Künstler mitunter psychisch anfrisst. Klar, dass die Kreativität irgendwann gewaltig unter der Erfolgsmaschinerie leidet. Aber warum erwischt es gerade DREAM THEATER? Warum gerade die Lieblinge aller Prog-Freaks rund um den Erdball? Das Theater ist zum Bersten voll, aber anstatt in Traumwelten zu versinken, bekommt man eine ziemlich schwache Vorstellung einer ausgelutschten Band.

Schließlich hatte ich eine Erkenntnis, an einem schönen, ruhigen Abends vor dem Laptop. „Six Degrees Of Inner Turbulence“ ist das auserwählte Scheibchen, das meine Reise durchs WorldWideWeb untermalt. Disc eins. Es rotieren „The Glass Prison“, „Blind Faith“, „Misunderstood“. Und bei „The Great Debate“ fällt plötzlich der Groschen. Wen interessiert schon dieses ganze intellektuelle Proggenörgel? Klar, die Songs sind lang, aber eben nur langgezogene Heavy Metal-Songs. Jawohl, richtig gelesen. DREAM THEATER sind eben nicht gleich DREAM THEATER.

Der Hund liegt, so glaube ich, beim Überalbum „Metropolis Pt 2“ begraben. DREAM THEATER waren verdammt gut auf dieser Scheibe. Eigentlich zu gut. Mike Portnoy hat sich persönlich zu diesem Album geäußert und gemeint, „dass die Band selbst nicht weiß, wie sie das toppen soll.“ Wie kann man also die unausweichliche Falle der Selbstkopie umgehen? Entweder man macht es wie Roine Stolt oder Neal Morse und veröffentlicht zehnmal die gleiche CD, oder man lässt fremde Einflüsse zu und neuert seinen Sound auf.

An diesem Abend vor meinem Laptop hörte ich DT zum ersten Mal nicht als PROGband sondern als astreine METALband, die eben etwas „anders“ ist. Und siehe da, der erste Teil der „Six Degrees“ macht plötzlich Spaß. Doch satteln wir das Pferd mal ordentlich von vorn auf.

Schon das Artwork unterscheidet sich vom restlichen „kunstvollen“ Kram aus der „Images&Words“ und „Awake“ Phase. Das Cover ist vorwiegend in Weiß und schmutzigen Gelb- und Rottönen gehalten. Der Schriftzug ist in seiner ungeraden, geschmierten Weise im „Nu Metal“-Stil gehalten. Visuell versucht DT von Anfang an eine Duftmarke zu setzen: „Vorsicht! Das ist zwar die gleiche Band, aber ein anderer Sound!“

Selbstbewusst präsentieren sich die Mannen im Booklet. Die Lyrics sind inzwischen direkter geworden als noch auf „Awake“. Weniger Philosophie und Wortspiele, mehr Realität und Alltag. Es geht um verschiedene Zustände seelischer Abgründe, wie psychische Krankheiten, Schizophrenie, Stress, Moral und Alkoholabhängigkeit.

Im wahrsten Sinne „turbulent“ geht es schon mit „The Glass Prison“ los, dem ersten Teil der Erlösungssaga von Mike Portnoy. Hier werden bereits Riffs geliefert, die in späteren Songs wie „This Dying Soul“ oder „The Root of All Evil“ neu aufgesetzt werden. Es knallt ordentlich und man spürt, dass DREAM THEATER auf der Schwelle zu einer neuen Ära ihrer Diskografie sind. „The Glass Prison“ testet neue Härtegrenzen aus und erinnert am ehesten noch an „The Mirror“ oder „Home“. Nach erschöpfenden dreizehn Minuten gönnt man sich eine kleine Pause. „Blind Faith“ handelt von blindem Gottesglauben (ein Thema, welches DREAM THEATER noch des Öfteren ausbuddeln sollten). Das Intro ist recht ungewöhnlich für die Band und leitet mit interessanten Soundscapes in einen melodischen, mitreißenden Rocker.

Einschub.
DREAM THEATER haben für oben erwähnte „fremde Einflüsse“ Tür und Tor geöffnet. PANTERA, MEGADETH, METALLICA (ein Schelm, wer böses dabei denkt) aber auch RADIOHEAD, U2, ALICE IN CHAINS und NINE INCH NAILS nennen die Jungs ihre größten Einflüsse. Ein ziemliches Soundgematsche möchte man meinen. Wohl wahr, denn all die Fragmente und Inspirationen sind streckenweise völlig wirr und heterogen zusammengesetzt und wecken den Eindruck puzzleartiger Collagen. Nur harte Gitarrenriffs halten wie ein mittelmäßiger Kitt diese Emulsion zusammen.

In „Misunderstood“ scheint die Band ausnahmsweise mal „eins“ gewesen zu sein. Sanftes Intro, Pathos, LaBrie schwebt in höheren Sphären mit einer fast schon kitschigen Melodie. „Misunderstood“ ist gelungen, man war sich im Studio darüber einig, wo es hingehen sollte – bis sich der Song am Ende in nichtssagenden Geräuschkulissen zerfasert. Die Fäden werden in „The Great Debate“ wieder zusammengeführt. Auch dieser Track beginnt mit verwirrenden Gimmicks und entwickelt sich zu einem psychedelischen Trip. Was diese „Diskussion“ im Hintergrund soll kann ich beim besten Willen nur erahnen. „The Great Debate“ ist im Ganzen aber schön fetzig und der verhasste „Roboter-Gesang“ ist irgendwie... geil. DT-Bashing hin oder her, aber ich kann die Fans nicht verstehen, die schon beim kleinsten Ausbrechen aus üblichen Schemata aufheulen und „Verrat“ kreischen müssen. Schließlich liefern DT immer noch ihre üblichen Polyrhythmen und Hochgeschwindigkeitssoli ab – als ob das nicht genug wäre... (Diese Ironie sei mir erlaubt)
„Disappear“ ist dann der erste Reinfall. Eine Sülzballade die „Hallo!“ sagt und genauso schnell wieder verschwindet, wie sie gekommen ist. Muss man nicht haben.

Der Rezensent streckt sich kurz, holt sich eine weitere Tasse Kaffee und spuckt nochmal ordentlich in die Hände. Denn umstrittene CD 2, der Titelsong „Six Degrees“, wartet bereits auf ihn...

Und Gott sprach es werde „Overture“. Aber was für eine. In den ersten Minuten hatte ich allen Ernstes geglaubt, die Band will mich verarschen. Man stelle sich die berühmte „Zelda-Ocarina of Time“ Melodie von DREAM THEATER gecovert und mit dickem Plastik-Bombast versehen vor. Lächerlich und mit seinen sechs Minuten viel zu lang.
In den folgenden Tracks geben sich DREAM THEATER erstaunlich songorientiert und „unproggy“. „About to Crash“ ist einfacher Pop-Rock, „War Inside My Head“ ist düsterer Heavy Metal, der noch ein Quäntchen Komplexität erahnen lässt. „The Test That Stumped Them All“ gibt sich dann als eine absurde Kreuzung aus METALLICA und Musical aus, die irgendwie nach DREAM THEATER klingen soll. Das wird zumindest mit dem abschließenden Soloduell Rudess-Petrucci angedeutet. Und kurz bevor der Schädel vor so viel Hysterie platzt, werden wir von flauschig zarten Tönen umweht. „Goodnight Kiss“ ist nach diesem Tumult wirklich passend platziert, was nichts an dessen Schmalzigkeit ändert. Ich behauptete vorhin, „Six Degrees“ wäre als METAL-Album betrachtet gar nicht mal so schlecht. Und, ja, auf jeder Metal-Scheibe gibt es eine Feuerzeugschwenk-Ballade. Das Gitarrensolo ist wirklich nett und greift nochmal das Hauptthema der „Overture“ auf. „Solitary Shell“ besteht zu hundert Prozent aus überschwänglichem Gute-Laune-Pop. In „About To Crash (Reprise)“ mimen DT nochmal die amerikanische Stadionrock-Band bevor „Losing Time / Grand Finale“ die CD und damit das komplette Album „würdig“ abschließt.

Es fällt einem wirklich schwer, etwas Objektives über „Six Degrees Of Inner Turbulence“ zu schreiben. Größenwahn – Abkupferungen – Sound. Kritikpunkte, die DREAM THEATER immer wieder vorgeworfen werden.
Größenwahn: Natürlich, man muss schon einen an der Waffel haben, um mal eben nach seinem besten Album eine Doppel-CD mit einem Monstertrack auf einer Disc zu veröffentlichen (dabei schiele ich auch bewusst auf „The Incident“). Stellt man es aber geschickt an und subtrahiert man die wirklich furchtbaren Songs (Disappear, 70 Prozent des Titeltracks), bleibt immer noch genug Spielzeit um ein vollwertiges, gutes Album zu füllen. Da stellt sich dann natürlich die Frage – Warum nicht gleich so?
Abkupferungen: Nach „Metropolis Pt 2“ war die Gefahr in eine Sackgasse zu geraten für DREAM THEATER größer denn je. Sie haben die Abkürzung genommen und einfach mal etwas Untypisches mit untypischen Einflüssen produziert. Das gefällt dem einen und dem anderen eben nicht.
Sound: Dass die Band besonders auf der ersten Disc wohl zu viel PANTERA und METALLICA gehört hat, kann man noch entschuldigen und akzeptieren. Schließlich ist das ja noch ProgMETAL. Doch sobald Rudess mit furchtbaren Quietschkeyboards ins Rennen geht und Myungs ansonsten exzellenter Bass im Nichts verschwindet, will man DREAM THEATER am liebsten wieder mit verweinten Augen einen Tritt in den Hintern geben. Berechtigter Kritikpunkt.

Doch seien wir ehrlich. DREAM THEATER haben es im Prinzip so gemacht, wie es jede Band wohl getan hätte. Die Jungs sind einen völlig anderen Weg gegangen und wollten Neuland erkunden. Dass viele der Experimente nicht unbedingt gelungen sind, ist fast schon entschuldbar. Die Songs an sich – speziell auf CD 1 – gehen teilweise gut ab und machen Feuer in der Bude. Das ist zwar nicht mehr so „proggy“ wie auf „Awake“, zeigt aber, dass die Band anno 2002 immer noch Eier gehabt hat.

FAZIT: Hätten DREAM THEATER nach „Six Degrees Of Inner Turbulence“ wieder an ihre alten Taten angeknüpft, würde diese Doppel-CD heute eine Sonderstellung einnehmen. Man würde auf einer Party nach der Aufforderung, man solle doch etwas von diesen ominösen DREAM THEATER auflegen, „Six Degrees“ in den Player schieben. Die Amis sind diesen Weg der „Straightness“ aber fröhlich weitergegangen und haben sich sichtlich wohl gefühlt im neuen Gewand. Auf „Systematic Chaos“ ist dieses Konzept schlussendlich komplett daneben gegangen. „Six Degrees“ – der Untergang einer viel diskutierten und gehörten Legende oder einfach nur ein Kulissenwechsel im Theater der Träume?

Benjamin Feiner (Info) (Review 12055x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 10 von 15 Punkten [?]
10 Punkte
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Tracklist:
  • CD 1
  • The Glass Prison
  • Blind Faith
  • Misunderstood
  • The Great Debate
  • Disappear
  • -
  • CD 2
  • Six Degrees Of Inner Turbulence
  • a) Overture
  • b) About to Crash
  • c) War Inside My Head
  • d) The Test That Stumped Them All
  • e) Goodnight Kiss
  • f) Solitary Shell
  • g) About to Crash (Reprise)
  • h) Losing Time/Grand Finale

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
Kommentare
Mell
gepostet am: 18.11.2009

gut geschrieben ;)
du sprichst genau den punkt an , der mich an vielen DT fans stört: hört sich das album anders an, so ist es gleich schlecht, oder wie du es geschrieben hast "verrat!"
ich finde das Album insgesamt super
bis auf ein paar schwachstellen im titeltrack die du aber auch schon angesprochen hast
?
gepostet am: 30.09.2010

Hey du schreibst echt genial =)
Und ich als Dream Theater Fan kann deine Befürchtungen nicht verstehen, ist mir egal wenn sie neue Einflüsse haben, ich find auch die super... Ok man könnte behaupten ich sei kein wahrer Fan oder so... Aber es ist zumindest meine absolute Lieblingsband.
Und trotzdem fand ich deinen Text amüsant. Grautuliere =)
!
gepostet am: 21.04.2014

User-Wertung:
10 Punkte

hmmmm, ich finde du ziehst in deiner Review einige falsche Schlüsse aus der Entwicklung Dream Theaters. Ich stimme meinen Vorrednern zu, dass deine Review gut geschrieben ist und kann auch einigen deiner Aussagen zustimmen. Zb. Dass der Hund beim Überalbum SFAM begraben liegt, mit der die Amis ihre beeindruckende 90er Phase gekrönt haben. Oder deine Kritik an Rudess Quietschekeyboardsounds. Aber ich finde nicht, dass das neue Jahrtausend einen Kulissenwechsel Dream Theaters bewirkt hat, ich finde die Experimente auf 6 Degrees gehen nicht wirklich sehr weit. Hier ein paar psychotische Sounds mehr bei Misunderstoad, The Great Debate und Disappear, dann einmal ein angeschlagener Bombastregler in der Overture und dann mal Metal pur mit The Glass Prison, War inside my Head und The Test that stumped them all. Solch harte Klänge hatten wir bei The Mirror und Dance of Eternity aber auch schon. Richtig herausgefordert hats eigentlich das Nachfolgewerk Train of Thought. Eigentlich blieb vieles bei der alten Formel. Auch die Straightness ist nicht so stark im Vordergrund wie du das beschrieben hast und wenn dann war sie das in den 90ern auch schon. Nur hatten SFAM, Images und Awake vielleicht mehr Göttermelodien, die die Straightness immer gerechtfertigt haben (zB bei Pull me under). Da die Herren aber angekündigt haben, man wolle nach SFAM etwas anderes machen, hab ich mir tiefgehendere Experimente gewünscht. Zb. den Titeltrack als ganzes so gestalten wie das nur mit der Overture gemacht wurde, also als Dream Theater meats Bombast Longtrack? Im Enteffekt lande ich deshalb ebenfalls nur bei einer 10er Bewertung.
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